Çapuling! war das ausgelobte Motto für unseren kulinarischen Ausflug in die Türkei Ende August. Auf Tränengas und Pfefferspray für das echte Gezi-Park-Aroma haben wir dann aber ebenso verzichtet wie auf Kolonya. Authentizität ist schon als Ziel zweifelhaft und mehr als ein respektvoller Umgang mit den Traditionen und Zutaten einer Küche ist für non-natives ohnehin fast nicht möglich.
Mit der türkischen Küche ernsthaft in Kontakt gekommen bin ich erst bei unserer letztjährigen Istanbul-Reise. (Ja, es müßte eigentlich „mit den türkischen Küchen“ heißen, aber das gilt ja genauso für jedes Land, das größer als ein Stadtstaat ist. Mit genügend Akribie kann man auch die kulinarischen Unterschiede zwischen verschiedenen Tiroler Tälern herausarbeiten. Alles im Leben ist Abstraktion!) Im heurigen Frühjahr hatte ich dann bei der von Hanni Rützler organisierten migration culinaire die Gelegenheit, die Bekanntschaft zu vertiefen. Katharina Seiser hat in ihrem weiter oben verlinkten Text sehr empathisch vom letztjährigen Termin der Veranstaltung berichtet. Nachdem ich diesen Bericht nur schwer übertreffen könnte, werde ich mich auf ein paar visuelle Eindrücke von dem Festmahl beschränken, das uns Ahsen Çelik und ihre Tochter Betül damals bereitet haben.
Auf türkische Weine hat der Mundschenk nach eingehenden Konsultationen verzichtet. Und zugegeben, das hatte zumindest auch mit der schlechten Verfügbarkeit dieser Tropfen in Österreich zu tun. Mit der Verfügbarkeit von Zutaten ist ja es generell so eine Sache. Zumindest in Wien gibt es zwar gefühltermaßen an jeder zweiten Ecke einen türkischen Supermarkt oder Greißler, aber die qualitative Auswahl ist meist beschränkt. Bei der migration culinaire-Veranstaltung erklärte uns die Turkologin Gisela Procházka-Eisl, daß die Türkei auf eine große Käsetradition mit weit über hundert verschiedenen Käsesorten blicken kann. Auch Slow Food zeigt sich von dieser Vielfalt begeistert. Leider bemerkt man davon in Wien abseits von allerlei Frischkäsen in der Dose (Kuh, Schaf, Ziege – schon Büffel ist kaum zu finden) und einigen plastikverpackten Schnittkäsen, die sich gustatorisch kaum von ihrer Verpackung abheben, nur wenig. (Für entsprechende Einkaufstips wäre ich aber sehr dankbar – irgendwer muß ja wohl auch gescheiten Käse aus der Türkei importieren!)
Auch Büffeljoghurt, von dem wir in Istanbul so begeistert waren, war in den von mir besuchten Geschäften (und auch rund um den Yppenplatz) nicht aufzutreiben. Was es überall gibt, ist Kuhmilchjoghurt mit 3,6 Prozent und mit 10 Prozent Fettanteil – jeweils in Gebinden ab einem Kilogramm. Single-Haushalte gibt’s in der türkischen Gemeinde in Wien offensichtlich keine ;-). (Je einen dieser 1‑kg-Joghurtkübel haben wir dann für das 14-köpfige Festmahl gebraucht – vom mageren ist aber ein bißchen übrig geblieben.) Aber genug gesudert! Auf zu unserem Menü!
Die Geschichte dieses Menüs ist die Geschichte meiner Niederlage. Eigentlich hätte es nach den Vorspeisen, den Meze, eine Portion Mantı für alle geben sollen. Also zumindest eine kleine Portion – weit weg von 63 Stück. Dank der Serienbildfunktion meiner Kamera hatte ich ja alle Schritte der Zubereitung der fingernagelkleinen Teigtaschen dokumentiert und Ahsen hatte uns auch ihr Rezept mitgegeben.
Allein, das alles reichte nicht. Der erste Versuch mit KitchenAid und Nudelmaschine war noch recht vielversprechend. Bloß als es dann an die ernsthafte Portionsgröße ging, machte mir die mangelnde Routine in der Nudelproduktion (nach vier Monaten im Besitz einer Nudelmaschine war das mein erster Pastateig) einen Strich durch die Rechnung. Statt auf ein Blech oder einen Teller setzte ich die fertigen Mantı in eine viel zu kleine bemehlte Schüssel. Das Ergebnis ist leicht zu erraten: Statt einer Schüssel voll klitzekleiner Teigtaschen hatte ich einen am Ende einen großen Klumpen aus Teig und Fleisch. Nachdem das alles am Vorabend des Festmahls passierte, verschwanden die Mantı ganz schnell wieder von der Speisekarte.Übrig blieben damit drei Gänge: Meze, ein Ragout und eine Nachspeise. Ein bisserl dürftig für eines unserer Festmahle, könnte man meinen. Aber wer wie ich die levantinisch-orientalische Küche liebt, weiß, daß ihr größtes Glück in den Vorspeisen liegt. (Wobei, wenn ich es mir recht überlege, gilt das fast überall – egal ob Tapas, Meze oder Degustationsmenüs, kleine Happen ziehe ich jederzeit einer „ordentlichen“ Hauptspeise vor!)
- Meze
- Terbiyeli Kereviz (Sellerie mit Zitronensauce)
- Pancar Salatası (Rote-Rüben-Salat mit Joghurt)
- Zeytinyağlı Domates Dolması (gefüllte Paradeiser)
- Cacık (Joghurt mit Gurken und Dill)
- Humus (Kichererbsenpüree mit Sesampaste)
- İmam Bayıldı (geschmorte Melanzani)
- Ispanaklı Tepsi Böreği (Spinat-Schafskäse-Auflauf)
- Kısır (Bulgursalat)
- Kestaneli Kuzu (geschmortes Lamm mit Schalotten und Maroni)
Nohutlu Pilav (Kichererbsen-Reis) - Künefe (sirupgetränktes „Engelshaar“ mit Schafskäse)
Bei so vielen verschiedenen Gerichten wird eine Weinbegleitung natürlich schwierig – bis auf den „Dessertwein“ (englischer Pomeranzenvodka, eh ganz OK, aber keine Offenbarung) gab es daher keine explizite Gangzuordnung. Der Getränkeeinkauf erfolgte diesmal etwas kurzfristiger als sonst, weshalb die Gärtnerin die Weinliste für die Menükarte nur telefonisch durchgesagt bekam. Im Nachhinein ist mir nun aufgefallen, daß die Niederschrift aufgrund dessen wohl nicht ganz fehlerfrei war. Blöderweise hat sich der Mundschenk im unmittelbaren Anschluß an das Festmahl in den Urlaub auf ein Segelboot an der istrischen Küste verabschiedet. Ich glaube, ich konnte die Getränkeliste aber halbwegs rekonstruieren:
- Muscadet Sèvre et Maine 2012 (Domaine de la Foliette, Loire, Frankreich)
- Bergerac blanc sec 2010 (Château le Thibaut, Bergerac, Frankreich)
- Château Martinon Entre-deux-Mers 2012 (Bordeaux, Frankreich)
- Cabernet Sauvignon 2011 (Zeitlberger & Zeitlberger, Wagram, Niederösterreich)
- Urbano Marche Rosso 2011 (Marche, Italien)
- Pinot Noir 2008 (Reinisch, Tattendorf, Burgenland)
- Chase Marmalade Vodka (Herfordshire, UK)
Wobei dieser Umstand der Qualität von „Arabesque“ keinen Abbruch tut, bitte mich nicht falsch zu verstehen. Roden liefert neben den reinen Rezepten auch kulturgeschichtliche Hintergründe. Für mich ist das wichtiger als Hochglanzphotos zu jedem Gericht. Auch „Echt türkisch!“ muß ich hier kurz besprechen: Die Typographie ist so lala und es fehlt ein alphabetischer Index, aber die Rezepte sind (soweit ich das halt beurteilen kann) authentisch und die Photographien sind nicht nur appetitlich, sondern auch illustrativ. (Kaufentscheidend waren für mich dabei die Bilder zur Mantı-Herstellung.) Die Kurzanleitung zur Aussprache des Türkischen im Anhang schadet auch nicht ;-). Sehr feines Buch!
Da die Weinhauerin schon andere Pläne hatte und nur zum Dessert nachkommen wollte, war ich in der Küche diesmal auf mich allein gestellt. Bei den Vorbereitungen ging sich mein Zeitplan wieder einmal vorne und hinten nicht aus, am großen Abend selbst klappte aber alles reibungslos. Bis auf die Saucen und das Cacık waren ja auch schon alle Meze fertig und mußten nur noch angerichtet werden. Kleinere Schwierigkeiten machte uns dabei das Fehlen genügend großer Servierplatten. Besonders beim Rote-Rüben-Salat Pancar Salatası mußten wir mit Alufolie improvisieren, um die doch recht flüssige Marinade nicht überschwappen zu lassen.
Weiches Fladenbrot und das etwas dünnere und festere Lavaş standen schon am Tisch, irgendwie fanden zwischen den Gläsern und Kerzen dann auch noch die Meze-Teller Platz. Nur einer fehlte: der Rakı. Der Mundschenk hatte sich auf den Yppenmarkt verlassen, doch der einzige Getränketandler, der am Samstagabend offen hatte, stammte leider vom Balkan und nicht aus der Türkei. Geschmeckt haben uns die Vorspeisen glücklicherweise auch ohne den traditionellen Anisschnaps. Sehr sogar! Meze-Koma! An das Hauptgericht war vorerst nicht zu denken.Was tun? Türk Kahvesi muß her! Der Mundschenk war mit der Zubereitung von Heißgetränken sichtbar gefordert. (Ein passendes Kupferkännchen für 14 Menschen haben wir natürlich nicht, ein Milchtopf tut es aber auch.) Doch mit Unterstützung des Spicegirl und trotz meiner klugen Ratschläge aus dem Off, machte uns der starke, tiefschwarze Kaffee bald wieder munter genug für den Hauptgang.An sich hatte ich diesmal ganz traditionell gekocht. Also fast ganz. Die roten Rüben und der Sellerie waren schon sous-vide gegart, aber den Lammschlögel habe ich geschmort. Gemäß des Mottos „Köche kochen nicht mit Wasser“ hatte ich letzteres in Claudia Rodens Rezept aber durch einen Lammknochenfond ersetzt. Über Nacht war das Ragout im Kühlschrank natürlich erstarrt. Am nächsten Tag war die optische Ähnlichkeit zu Katzenfutter (aus der 3‑kg-Dose) leider frappierend. Aber egal, so lang es besser riecht und schmeckt und am Teller nicht mehr danach aussieht …Schon beim Anrichten des Hauptgangs war mir das Spicegirl mit ihrer Gastro-Erfahrung hilfreich zur Seite gestanden. Bei der später folgenden Zubereitung des Desserts (ja, auch diesmal deutlich nach Mitternacht) und besonders beim Dekorieren lief sie dann zur Höchstform auf. Die Kadayıf genannten Teigfäden werden im türkischen Supermarkt vakuumverpackt in 500-g-Blöcken verkauft. (Schon fertig gebackene gibt es auch, aber von dieser Variante kann ich nach einem Selbstversuch nur abraten.) Drei solcher Blöcke hatte ich sicherheitshalber besorgt, doch schon einer der Ziegel reichte locker für meine 30-cm-Form. Künefe ist keine leichte Nachspeise: Sirup- und buttergetränkte Teigfäden mit einer fein-säuerlichen, ganz leicht salzigen Schicht Schafskäse dazwischen. Mjam! Selbstgemacht ist sie höchstens halb so süß wie die Baklava vom Naschmarkt. Nach Künefe und Pomeranzenvodka brauchten wir trotzdem noch etwas Herbes zum Abschluß. Käse fiel aus (siehe oben), Rakı ebenso. Zum Glück hat unser Gastgeber für solche Notfälle immer einen gut sortierten Single Malt-Vorrat bereitstehen. Ah!Ich hatte zu Beginn ja das Motto des Abends erwähnt. Çapulcu hieß ursprünglich so viel wie „Plünderer“, „Marodeur“. Vielleicht haben wir ja bei unserer Plünderung der türkischen Küche den einen oder anderen faux pas begangen. Aber es hat großen Spaß gemacht und am Ende war auch die Skeptikerin vom Yppenplatz von der Küchenleistung überzeugt. Und: Ein Festmahl darf auch weniger Gänge haben, so lang es genügend verschiedene Gerichte gibt! So, das war’s für heute. Die Rezepte folgen im Lauf der nächsten Tage, versprochen. Einstweilen: Görüşürüz!
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