Eigentlich hatte ich vor, ein Menü zu bestellen. Manch ein Koch hat das Menü für tot erklärt, aber mir sind viele kleine Häppchen lieber als wenige große Gerichte. Die Dankbarkeit ist leider auch so ein Lokal ohne Menüs. Immerhin gibt es die Möglichkeit, eine kleine Portion der Hauptspeise um zwei Drittel des Vollpreises zu bestellen. Die Antwort des Kellners, wie groß man sich denn so eine „kleine Portion“ vorstellen dürfe, war nicht wahnsinnig hilfreich: „Circa zwei Drittel halt“. Zwei Drittel von was? „Von einer vollen Portion“. Danke, soweit war ich auch schon.
Positiv dagegen, daß sich Patron Josef Lentsch schon im Vorwort der Speisekarte zur regionalen Herkunft der Zutaten bekennt. Nur: Sind wir in der Gastronomie schon soweit, daß „Käse und Milchprodukte […] von der NÖM“ als besonderes Qualitätsmerkmal gelten können? Aber gut, anderswo erhält man auch solche Informationen nicht, die Ehrlichkeit spricht für die Dankbarkeit. Dankbar sind wir über den Gruß aus der Küche, pikantes Paprikawürstel, grüner Kürbiskernaufstrich und wohl die letzten frischen Paradeiser der Saison sind gerade das richtige für den ersten Hunger.Zügig kommen dann unsere Vorspeisen: Kürbiscremesuppe für den zweiten Herrn am Tisch, eine etwas eigenwillige Paradeiser-„Cremeschnitte“ mit hellgrünen Spinatpüreetupfern (die genaue Bezeichnung war nicht rekonstruierbar, aber die Gärtnerin hatte sich’s etwas anders vorgestellt) und, ganz klassisch, der berühmte Jiddische Hühnerleberaufstrich für mich. Wahnsinnig gut und auch wahnsinnig viel – sollte man nur bestellen, wenn man sonst nicht mehr ißt oder zumindest zu zweit ist.Das sollte sich nun ändern. Unser „Fehler“ war vermutlich das einsame Zwischengericht – von dieser Unterbrechung des Rhythmus erholte sich die Servicemannschaft nicht mehr. Obwohl wir mehrmals Getränke nachbestellten, fragte uns niemand, ob wir denn noch etwas zu essen bekommen würden. Nach einer guten halben Stunde fragten wir das erste Mal nach, wie lang es denn noch in etwa dauern würde mit den Hauptspeisen, da einige Mitspeisende doch noch eine länger Fahrt vor sich hätten. Nach Rückfrage in der Küche wurde uns lapidar mitgeteilt, daß es „schon noch ein bißchen“ dauern würde.
Nach weiteren zehn Minuten und einer weiteren Nachfrage kam dann ein bedeutsam aussehender Herr an unseren Tisch (wohl der Patron, vorgestellt hat er sich nicht): Wir sollten doch quasi dankbar sein, diese „Zeit mit der Familie gewonnen“ zu haben und überhaupt müsse man mehr die Seele baumeln lassen können. Auch der Einwand, daß die Fahrt nach Graz halt noch weit wäre und man das gerne bei Tageslicht schaffen würde, konnte ihm kein Wort des Bedauerns über das offenkundige Vergessen unserer Bestellung entlocken.
Insgesamt haben wir dann fast eine Stunde auf die Hauptspeisen gewartet. Auch wenn (bis auf das etwas fade Pastagericht, das einer am Tisch bestellt hatte) die Gerichte ohne Fehl und Tadel waren – ich habe schon bei besserer Stimmung gegessen. Die Qualität der Küche ist halt nicht alles, auch wie man mit bestimmten Situationen umgeht, beeinflußt das Gesamterlebnis entscheidend. Gegen den Wels mit Braterdäpfeln, die Wildente mit Kürbispüree und Serviettenknödel und das Reh mit Linsen und Erdäpfelnockerl war nichts einzuwenden, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie sie geschmeckt haben. Hübsch waren sie jedenfalls, das beweisen die Photos.
Zum Nachtisch teilten wir uns dann noch drei Desserts. Eine mousse au nougat mit marinierten Zwetschken und zweimal Strudel (ich glaube es war Topfen-) mit (Zimt?)-Parfait.
Inklusive zwei Gläsern Wein (OK, es war der teuerste offene Wein) und zweier caffè corretti haben wir zu viert 165,50 Euro bezahlt. Für die Küchenleistung sehr in Ordnung, in der Gesamtbetrachtung wird es nächstes Mal aber doch wieder das Presshaus werden.
Das Gasthaus hat in der Region auch den Spitznamen „zur Langsamkeit“…
Das weiß man als Ortsfremder halt leider erst hinterher ;-)