Bei unserem Besuch Anfang Mai war an ein Sitzen im Gastgarten leider noch nicht zu denken. Das Ambiente des Prato war dann trotz Vorwarnung ein wenig gewöhnungsbedürftig. Viel Samt in grau und violett, dazu großformatige Photographien von Schmuckstücken. Erste Assoziation: Hotel-Restaurant „Oligarchentraum“. (Auch bei den offenbar von Lavalampen inspirierten Wassergläsern weiß ich bis heute nicht, ob ich eher amüsiert oder irritiert sein soll. Aber das sind natürlich Nebensächlichkeiten.) Rasch brachte uns ein vermeintlicher Service-Mitarbeiter (inzwischen wissen wir: Geschäftsführer Michael Pech persönlich) die Speisekarte vorbei. „Danke, brauchen wir nicht“ – wir hatten uns ja schon im Netz informiert. Ob es möglich wäre, das Degustationsmenü so zu variieren, daß alle Gerichte der beiden kleinen …? Und die Weinbegleitung, die würden wir gerne teilen? Ja, beides kein Problem, gerne deklinierte man für uns die komplette Karte durch.
Noch vor dem obligaten Brotkorb (hier in Form einer mit Heu gepolsterten Brotkiste) begrüßte uns die Küche mit kleinen Häppchen: Sauerteigbrötchen mit hausgebeizter Forelle und Avocado, gebackener Kalbskopf mit eingelegter Senfgurke, Tapioka-Chip mit Beef Tatar. (Erinnerung: der Tapioka-Cracker hatte einen angenehmen Röstgeschmack und diente nicht nur als Texturkontrast.) Das highlight der Brotkiste ist eindeutig das papierdünne, knusprige Schüttelbrot in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Unser Favorit: schwarzer und weißer Sesam. Kurz darauf kam auch schon das erste Gericht: Ein weiterer Gruß aus der Küche in Form eines „Frühlingserwachens“ bestehend aus Saiblingsbackerl mit Bärlauchgelée und ‑staub sowie marinierten Wildkräutern, Buchenpilzen und Blüten. Falls jemand am Bild den Saibling vermißt: Der versteckte sich unter der Gelée-„Folie“. Weinbegleitung: Sivi Pinot (Grauburgunder) 2011 von der Heaps Good Wine Company aus Slowenien.
Vorspeisen
Mit dem ersten Wein (der Cuvée „Grassnitzberg 54a“ von Erich & Walter Polz) wurde uns auch eine sehr schön erhaltene 5. Ausgabe der „Süddeutschen Küche“ serviert. Der erste echte Gang: Salzburger Seesaibling. Erbse. Blutwurst für die Gärtnerin und Backhendl. Sot-l’y-laisse. Murbodner Erdäpfel. Petersilie für mich. Der Clou: Das Backhendl ist ein flüssiges. Leider gab’s nur zwei der außen knusprigen Kugeln, ich hätte für eine dritte gern ein Stück sot-l’y-laisse (angeblich auch bekannt als Pfaffenschnittchen oder oysters, aber ich mußte dafür auch bei Wikipedia nachschlagen) abgegeben. Der durchaus traditionell abgemachte Erdäpfelsalat verbarg sich übrigens unter einer Petersilfolie, die grüne Crème stammte vom Kochsalat. Vom Saibling mit Erbse und Blunzn konnte ich leider nicht mehr als einen Kostlöffel ergattern, die Gärtnerin war aber als Minzliebhaberin mit der geschmacklichen Abstimmung sehr zufrieden.
Zwischengang
Als zweiten Gang gab es für uns beide die Essenz vom Almo. Dotter vom Herk-Ei. Knödel. Sherry. Sehr straight, sehr klassisch. Die Restaurantkritikerinnen der Presse haben sie geliebt, mir war sie im Vergleich zu den anderen Gängen fast zu klassisch. Angesichts der gebotenen Klasse aber ein Jammern auf verdammt hohem Niveau. Begleitwein: „L’Estro“ von Casa Catarina.
Fisch & Fleisch I – Fisch
Weiter ging es mit Gang drei, nämlich zweimal Flußkrebs. Schweinsbackerl. Semmelkren. Sauerkraut, dazu zweimal Sepp Muster. Michael Pech kredenzte uns nämlich zum Vergleich „Erde“ und „Gräfin“ (jeweils Jahrgang 2011). Vielleicht freunde ich mich mit orange wines doch noch an? Wobei mir die Gräfin dann um ein Alzerl besser gemundet hat. Die am Papier doch ein bisserl seltsam anmutende Kombination aus Flußkrebs, Semmelkren und Sauerkraut(-saft) war am Teller übrigens eines der ganz, ganz großen Gerichte dieses an Höhepunkten nicht armen Abends.
Auf gleichem Niveau Gang Nr. 4, Branzino. Pistazie. Variation vom grünen Apfel. Pistaziencrème pikant? Mhm… mmmmm! Eine Reminiszenz an die österreichischen Küstenlande und ja, an den steirischen Apfel, verriet uns der Service. So gesehen paßt dann auch der Küstenkaviar. Auf Nachfrage gab uns die Küche dann auch noch das Geheimnis des unglaublich intensiven Apfelherzens preis: eine einreduzierte Essenz aus Apfelschalen. Dazu: Grüner Veltliner 2009 vom Nikolaihof.
Erfrischung
Als nächstes folgte quasi das Überraschungsei des Menüs: Kokoseis und Ananasgelée verbargen sich unter einem Berg von Piña Colada bubbles. Primär wurde natürlich unser Spieltrieb bedient, als Zwischengang zur Erfrischung paßte das aber gut so (ebenso wie der dazu servierte Wiener Gemischte Satz „Erinnerungsgarten“ von Lenikus).
Fisch & Fleisch II – Fleisch
Der Fleischgang (das war dann der sechste, falls wer mitzählt) wieder getrennt: Einmal Weizer Berglamm. Artischocke. Spargel. Röstzwiebel, einmal Tafelspitz. Kalbsbeuscherl. Dotter-Ravioli. Gänseleber (mittlerweile hatten wir uns auf einen Halbzeittausch geeinigt – ein Kostlöffel reichte einfach nicht). Beim Wein sahen wir erstmals rot, einen Blaufränkisch von Wachter-Wiesler nämlich (der Jahrgang war leider nicht mehr zu eruieren). Das Lamm geradezu prototypisch sous-vide gegart, rosa von Rand zu Rand. Die Röstzwiebeln würzig und vielleicht etwas auf der sehr salzigen Seite (wohl aufgrund der Zubereitung unter einer Salzkruste).
Beim Kalbstafelspitz mit ebensolchem Beuschel und Gänseleber (ungestopft, aber das weiß ich jetzt nur von Katharina) konnte man sich nicht einmal über solche Petitessen beklagen. In sich stimmig, wunderbar. (Zum Teilen wär natürlich noch ein zweiter Dotter-Raviolo fein gewesen, weil ich wirklich nur sehr, sehr ungern davon einen Bissen für die Gärtnerin übrigließ, aber das läßt sich nur auf sehr verschlungenen Wegen der Küche anlasten ;-)
)
Käse & Nachspeise
Käse schließt den Magen? Im Prato nicht. Als Gang Nr. 7 kamen Steirerkäse. Bärlauch. Kernöl in unterschiedlichen Texturen (den Bärlauchstaub kannten wir ja schon vom Frühlingserwachen) daher und vermischten sich gar wohlgefällig. Drei oft dominante Geschmäcker, aber auch hier war das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. (Der „XLOVE“ Welschriesling TBA 2006 von Ewald Zweytick hielt sich tapfer.)
Vom Süßwein zu den Süßspeisen war’s dann nicht weit. Ich begann mit dem „Fälscherskandal“: Schokolade. Miso. Zitrus. Michael Pech lieferte uns noch die Erklärung zum Namen des Desserts – irgendwann im 19. Jahrhundert gab es in Graz einen großen Skandal um Münzfälschungen. (Zum Glück wurden keine Zitrusfrüchte gefälscht, da wär hier was los gewesen!) Mir war’s trotz Zitrusfrische etwas zu süß-schokoladig (Schokoladendesserts sind generell nicht meine Sache), aber damit genau richtig für die Gärtnerin. Mehr Freude hatte ich an der verbliebenen Hälfte von Sellerie. Hornig-Kaffee-Röstung. Vielfalt von der Steirer Milch. Wahnsinn! Fein kandierter Sellerie, knusprig und bitter zugleich die Kaffeekekse, dazu das cremige Milcheis. In der Art bitte gerne mehr! (Falls es wer nicht bemerkt haben sollte: Diese Nachspeise war für mich das dritte highlight des Abends.) Weinbegleitung: Sauvignon Blanc Reserve 2004 von Potzinger.
Das Lokal hatte sich mittlerweile bis auf zwei Damen am Nebentisch weitestgehend geleert. (Einschub: Ich versteh die Grazerinnen und Grazer echt nicht. So rasend viele wirklich gute Lokale gibt es in der Stadt ja nicht und dann geht ausgerechnet am Samstag niemand essen?) Da fand dann auch der Küchenchef Muße für einen kurzen Plausch. Neben der Erfüllung des obligatorischen Photo-Wunsches (Bloggerinnen und Blogger sind da oft etwas lästig ;) ) klärte er gleich einen Irrtum aus dem Service auf: Nein, sous-vide würde nur das Lamm gegart, für den Seesaibling beim ersten Gang reiche die Wärmelampe im Paß. Vor lauter plaudern über die Herstellung von Campari-Kristallen wäre mir fast das statt petits fours Multivitamin-Eis zergangen (Rharbarber in Textur mit Multivitamin-Eis und Campari-Kristallen). Aber nur fast!
Fazit
Ich fürchte ja, es ist ein Zeichen des Alterns, wenn man erwähnt, wie jung jemand ist, der oder die etwas wirklich gut kann. Also: Kevin Hamminger ist 23 und kocht echt super. Nein, das Prato ist natürlich kein Wirtshaus für jeden Tag – dazu wechselt auch die Karte zu selten. (Nominell: vierteljährlich, der Wechsel auf die Sommerkarte fand aber erst Mitte Juli statt.) Und à la carte braucht man in dieser Liga sowieso nicht essen gehen. Also eher etwas für besondere Anlässe.
Für zwei Personen kamen wir für zwei Degustationsmenüs, eine geteilte Weinbegleitung, zweimal Apéritif und Nebengeräusche (Mineralwasser, Gedeck) auf knapp 300 Euro. War es das wert? Hell, yeah! Neben der Küche muß ich an dieser Stelle nämlich auch noch die von Michael Pech zusammengestellte Weinbegleitung hervorheben: Das war mit deutlichem Abstand die spannendste zumindest des letzten halben Jahres. Wir freuen uns schon auf die Sommerkarte und den Gastgarten. Ein passender Anlaß wird uns bis zum Ende des Betriebsurlaubs am 12. August sicher noch rechtzeitig einfallen ;-).
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